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„Alleine schaffen es die Bauernfamilien nicht“

Jon Walker ist Senior Advisor für Kakao bei Fairtrade International. Im Interview erklärt er, warum die Kakaopreise aktuell verrücktspielen, wie es den Menschen in den Ursprungsländern damit geht und welche Rolle FAIRTRADE dabei einnimmt, die Auswirkungen des Klimawandels abzufedern und die Wälder zu schützen.

Kakao hat zuletzt eine Preis-Achterbahn erlebt.

Jon Walker: Und wie. Der Preis lag noch im Jänner 2024 unter 5.500 US-Dollar pro Tonne, kletterte im April tageweise auf mehr als 12.700 und lag im Mai dann wieder unter 8.000. Das war immer noch dreimal so viel wie der Durchschnitt 2023.

Warum war das so?

Vor allem weil es weniger Kakao aus Côte d’Ivoire und Ghana gegeben hat, von wo mehr als 60 Prozent der weltweiten Ernte stammen. El Niño, ein periodisches Wetterphänomen, das Trockenheit und Hitze verstärkt, hat die Bauernfamilien vor große Herausforderungen gestellt. Zusätzlich kommen die Folgen des Klimawandels und die Verbreitung neuer Kakao-Krankheiten wie das Swollen Shoot Virus. Außerdem verdrängen in Ghana seit Jahren immer mehr Goldschürfer den Kakaoanbau.

Hilft der hohe Kakaopreis den Menschen im Ursprung?

Das hängt stark davon ab, in welchem Land sie leben. Die Märkte in Côte d’Ivoire und Ghana werden von den Regierungen reguliert. Diese verkaufen die voraussichtliche Erntemenge bis zu einem Jahr im Voraus, die hohen Preise kommen also zeitversetzt an. Zudem können höhere Preise auch nichts ausgleichen, wenn schlechte Ernten für geringere Mengen sorgen.

Wir haben aber auch von FAIRTRADE-Bauernfamilien in Westafrika sowie Lateinamerika und der Karibik gehört, dass sie teilweise bereits höhere Preise erhalten oder bald bekommen werden. Das große Ziel ist aber noch in weiter Ferne, nämlich, dass Bauernfamilien existenzsichernde Einkommen erwirtschaften.

Was bedeutet das?

Um eine menschenwürdige Lebensgrundlage zu erreichen, müssen die Bauernfamilien auch ein entsprechendes Einkommen erzielen. Nur so lässt sich nachhaltig Landwirtschaft betreiben. Vor allem die Kakaobauernfamilien in Westafrika erreichen das aber Großteils noch nicht, auch wenn sich die Situation dank FAIRTRADE verbessert. Eine Studie aus 2021 zeigte: Der Anteil der Haushalte, die ein existenzsicherndes Einkommen erzielen, verdoppelte sich zuletzt auf 15 Prozent. Zudem lebten zumindest 61 Prozent der Bauernfamilien oberhalb der extremen Armutsgrenze. Wie sich die Situation seitdem entwickelt hat, erheben wir demnächst in einer neuen Studie.

Wie trägt FAIRTRADE dazu bei, ein existenzsicherndes Einkommen zu erreichen?

Der erste Schritt besteht darin, Unternehmen zu ermutigen, zu FAIRTRADE-Bedingungen einzukaufen. Das bringt stabile Mindestpreise und zusätzliche Prämien. Außerdem unterstützt FAIRTRADE die Kooperativen dabei, ihr Management zu verbessern und Einkommensquellen zu diversifizieren. Um die rechtlichen Rahmenbedingungen für fairen Kakaohandel zu verbessern, haben wir auch unsere Lobbyarbeit vorangetrieben. So ist Fairtrade International an nationalen Multi- Stakeholder-Initiativen für nachhaltigen Kakao beteiligt, die auf verantwortungsvolle Beschaffungspraktiken drängen.

Wird der Klimawandel dabei auch berücksichtigt? Was können Kakao-Bauernfamilien tun, um sich dafür zu wappnen?

Uns muss bewusst sein, dass Bauernfamilien die Kosten für klimabedingte Anpassungen nicht alleine stemmen können. Im ersten Schritt empfehlen wir den Kakao-Kooperativen, ihre Umweltrisiken zu identifizieren und zu bewerten. Im zweiten Schritt werden darauf basierend Pläne zur Anpassung entwickelt und umgesetzt. FAIRTRADE lädt aber auch Partnerunternehmen ein, bestehende Klimaanpassungs-Projekte finanziell zu unterstützen oder neue Projekte gemeinsam mit den Kakao-Bauernfamilien zu entwickeln. Das sind sowohl finanzielle Beiträge zu bestehenden Programmen als auch die gemeinsame Entwicklung von Projekten – Hand in Hand mit FAIRTRADE und den Bauernfamilien.

Welche zum Beispiel?

Das Spektrum der Projekte reicht von der Aufklärung über den Klimawandel und seine Auswirkungen, über kontextspezifische Schulungen zu Agroforstsystemen für Kakao, bis hin zu Möglichkeiten der Einkommensdiversifizierung, wie zum Beispiel Projekte zur Generierung von Carbon Credits, die zum Ausgleich von CO2- Emissionen z. B. entlang der FAIRTRADE-Kakaolieferketten geeignet sind.

Die FAIRTRADE-Standards verbieten die Abholzung von Wäldern. Wie wird das überwacht und hat das auch positive Aspekte für die Bauernfamilien?

Für die Bauernfamilien ist es natürlich wichtig, dass ihre Umwelt intakt bleibt. Um den FAIRTRADE-Kakao-Kooperativen die Umsetzung der kommenden EU-Entwaldungsverordnung zu erleichtern, ist Fairtrade International 2023 eine Partnerschaft mit dem Unternehmen Satelligence eingegangen. Dadurch erhalten FAIRTRADE-Kooperativen aktuelle und historische Satellitenbilder ihrer Betriebe und der umliegenden Gebiete, um die möglichen Risiken für den Wald besser zu verstehen.

Risikodaten helfen den Kooperativen beim Zugang zu wichtigen Märkten in Europa. Diese Informationen sind für den Marktzugang von entscheidender Bedeutung, da sie ein besseres Verständnis der Risiken ermöglichen und Prävention erlauben. Uns muss aber auch bewusst sein: Bauernfamilien holzen ihre Wälder nicht ohne Grund ab, Armut ist eine der Hauptursachen für Entwaldung.

Welche Projekte gibt es derzeit noch, um den Waldschutz voranzutreiben?

Ein weiteres Beispiel ist „Sankofa“, was in der ghanaischen Sprache Twi so viel bedeutet wie „zurückgeben“ oder „zurückholen“. Das Projekt ist das Ergebnis einer Allianz zwischen Fairtrade Africa, Schweizer Partnerunternehmen und internationalen NGOs. Es zielt darauf ab, Agrarökologie zu etablieren. Dabei wird Mischanbau von Kakao mit anderen Bäumen wie Mangos, Avocados oder Orangen gefördert, mit dem positiven Resultat einer Diversifizierung der Wälder und damit auch gesündere Böden. Dies führt langfristig zu höheren Ernteerträgen der Kakao-Bauernfamilien, wodurch wiederum das Risiko einer weiteren Abholzung der Wälder gemindert wird.

Zur Person

Jon Walker ist bereits seit mehr als zwei Jahrzehnten im Lebensmittel- und Landwirtschaftssektor tätig. Als Senior Advisor für Kakao bringt er seine Erfahrungen für Fairtrade International weltweit ein. Er unterstützt die Kakao-Kooperativen dabei, neue Märkte zu erschließen und noch mehr Impact für ihre Mitglieder zu generieren.