EU-Vorschlag zur Entwaldung muss kleinbäuerliche Landwirtschaft berücksichtigen

Der Gesetzesvorschlag der Europäischen Kommission ist ein zukunftsweisender Schritt, um Entwaldung zu bekämpfen. Aber dabei darf die kleinbäuerliche Landwirtschaft nicht im Stich gelassen werden. Ein Statement von Jon Walker, Senior Advisor für Kakao bei Fairtrade International.

Kaffeebauer in Indonesien in praller Sonne. Der EU-Komissionsvorschlag für entwaldungsfreie Lieferketten betrifft auch den Kaffeeanbau. Foto: Rosa Panggabean/Fairtrade

Kaffeebauer in Indonesien. Der EU-Komissionsvorschlag für entwaldungsfreie Lieferketten betrifft auch den Kaffeeanbau. Foto: Rosa Panggabean/Fairtrade

Die Wälder unseres Planeten sind mehr als nur grüne Lungen, die Leben atmen. Sie bedecken fast ein Drittel der Landfläche der Erde, beherbergen 80 Prozent aller terrestrischen Arten und versorgen schätzungsweise 1,6 Milliarden Menschen mit Nahrung, Unterkunft und Einkommen. Nach Angaben der Europäischen Kommission hat der Planet in den dreißig Jahren zwischen 1990 und 2020 420 Millionen Hektar Wald verloren - eine Fläche größer als die Europäische Union selbst.

Das ist eine Umwelttragödie. Und genau diese großflächige, unkontrollierte Abholzung und Waldschädigung stellt nach wie vor eine große Gefahr für die Zukunft unseres Planeten dar. Den langfristigen Fortbestand unserer Wälder zu sichern, ist von entscheidender Bedeutung: einerseits dafür, die Doppelkrise aus Klimawandel und Verlust biologischen Vielfalt zu bewältigen, andererseits dafür, die Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDG) und des Pariser Abkommen zu erreichen.

Der zukunftsweisende Gesetzesvorschlag der Europäischen Kommission zur Bekämpfung der Entwaldung ist daher ein willkommener und dringend benötigter Schritt in die richtige Richtung, um eine grünere und nachhaltigere Zukunft für alle zu schaffen.

Der Ende 2021 veröffentlichte Gesetzesvorschlag bestätigt die Rolle der Europäischen Union (EU) als globale Vorreiterin der grünen Agenda. In der Tat kann und muss die EU als wichtige Importeurin und Verbraucherin von sogenannten Forest Risk Commodities (Agrar- und Forstprodukte mit Entwaldungsrisiko) eine entscheidende Rolle spielen, wenn es um die Förderung einer nachhaltigen und fairen Produktion und die Eindämmung von Entwaldung und Waldschädigung geht.

Wälder als natürliche Lebensgrundlagen bewahren

Es ist jedoch ebenso wichtig, daran zu denken, dass die Wälder dieser Welt fast viermal so viele Menschen ernähren wie die Bevölkerung der Europäischen Union. Bei den Vorschriften zur Beendigung der Abholzung von tropischen Rohstoffen den Erhalt einer menschenwürdigen Existenzgrundlage in den Mittelpunkt zu stellen, ist deshalb genauso wichtig, wie der Schutz der Wälder selbst.
Der Verordnungsvorschlag der Europäischen Kommission bezieht sich auf Rinderzucht, Kakao, Kaffee, Palmen, Soja und Holz, die mit Entwaldung oder Waldschädigung in Verbindung stehen. Demnach würde die EU ihre Märkte für jene schließen, die gegen die Verordnung verstoßen. Die Verordnung enthält jedoch so gut wie keine Hinweise oder Bestimmungen für kleinbäuerliche Produzent*innen von Kakao- und Kaffee, obwohl sich ihre Situation deutlich von derjenigen von Großproduzenten wie beispielsweise im Sojaanbau in Brasilien unterscheidet. Darüber hinaus wurde die Verordnung ohne jeden Hinweis darauf veröffentlicht, wie viele kleinbäuerliche Haushalte ihre Haupteinkommensquelle verlieren oder völlig mittellos sein werden, nur weil sie nach Dezember 2020 Flächen abgeholzt haben, selbst wenn diese Abholzung nach ihren nationalen Gesetzen zu diesem Zeitpunkt zulässig war.

Das ist unfair und es betrifft uns. Aus diesem Grund fordert Fairtrade die Europäische Union auf, dafür Sorge zu tragen, dass alle beschlossenen Maßnahmen gegen Abholzung als Kernelemente der Gesetzgebung Fairness und soziale Gerechtigkeit beinhalten.

Die überwiegende Mehrheit der Bäuerinnen und Bauern im Kakao- und Kaffeeanbau arbeitet auf Betrieben, die kleiner als fünf Hektar sind, und lebt in einem extrem gefährdeten Umfeld, das durch wirtschaftliche Unsicherheit und die zunehmenden Auswirkungen des Klimawandels belastet ist.

Unbeabsichtigte negative Folgen für die kleinbäuerliche Landwirtschaft verhindern

Der Verlust des Zugangs zum EU-Markt wäre ein verheerender Verlust von Absatzmärkten für diese betroffenen Bäuerinnen und Bauern, die weiterhin ihren Lebensunterhalt verdienen müssen und infolgedessen sogar zu noch mehr Abholzung und zu unregulierter Arbeit getrieben werden könnten. Diese unbeabsichtigten Folgen würden letztlich die Nachhaltigkeit, den Erhalt der Wälder und die eigentliche Absicht der Verordnung untergraben. Vereinfacht ausgedrückt: Die Entwaldung wird nicht dadurch gestoppt, dass die Einfuhr von Kakao und Kaffee von in Armut lebenden Familienbetrieben verboten wird.

Deshalb fordert Fairtrade die Europäische Union auf, dafür zu sorgen, dass Bäuerinnen und Bauern von Kakao und Kaffee berücksichtigt werden und dass der Gesetzesvorschlag

  1. die Zahl der Kakao- und Kaffee-Bäuerinnen und Bauern benennt, die betroffen sein werden; sowie darlegt, wie sich die Verordnung auf sie auswirken wird, bevor die Verabschiedung des Vorschlags ihre Lebensgrundlagen schädigt. Von besonderem Interesse sind hier die Bäuerinnen und Bauern, deren Handlungen in der Vergangenheit vor dem Verordnungsvorschlag nach ihren nationalen Gesetzen rechtmäßig gewesen sein könnten;
  2. verantwortungsvoll mit Kakao- und Kaffeebäuerinnen und -bauern und ihren Kooperativen umgeht, einschließlich der ausdrücklichen Ermutigung von Unternehmen zum Abschluss , langfristige Lieferverträge mit kleinbäuerlichen Kooperativen abzuschließen und in diese zu investieren, anstatt sich ohne Vorwarnung aus  Regionen mit hohem Entwaldungsrisiko zurückzuziehen („cut & run“);
  3. von Unternehmen, die Produkte auf den EU-Markt bringen, einfordert, dass diese die Land- und Nutzungsrechte lokaler Gemeinschaften und indigener und traditioneller Völker sowie das Recht auf freie, vorherige und informierte Zustimmung (FPIC) respektieren;
  4. Partnerschaften, Programme und Finanzinstrumente der Europäischen Union wirkungsvoll einsetzt, um Bäuerinnen und Bauern bei der Einhaltung der neuen EU-Nachhaltigkeitsanforderungen unterstützen;
  5. die Anforderungen an die Rückverfolgbarkeit mit angemessener Unterstützung und Schutzmaßnahmen in Bezug auf den Besitz von Daten für Kakao- und Kaffee-Kleinbauern und ihre Erzeugerorganisationen kombiniert;
  6. Armut und weitere Ursachen der Entwaldung als Voraussetzung für die Verringerung der durch die Handelstätigkeit von Unternehmen aus der Europäischen Union verursachten Entwaldung bekämpft.

Nur durch diese klaren, umfassenden Bemühungen kann die vorgeschlagene EU-Gesetzgebung ihr erklärtes Ziel erreichen, die Entwaldung und Waldschädigung durch Lieferketten wirksam zu reduzieren und einen gerechten und fairen Übergang zu nachhaltigen und entwaldungsfreien Praktiken für alle zu gewährleisten, ohne dabei jemanden zurückzulassen.

Der Schutz der Wälder ist von entscheidender Bedeutung für die Bewahrung der Zukunft unseres Planeten. Gleichzeitig müssen wir das notwendige Gleichgewicht zwischen dem Schutz des ökologischen Erbes unseres Planeten und dem Aufbau einer nachhaltigen Zukunft für diejenigen finden, deren Lebensunterhalt am meisten gefährdet ist. Indem der Gesetzesvorschlag der Europäischen Union die Bedürfnisse der Männer und Frauen im Kakao- und Kaffeeanbau berücksichtigt, kann er genau das erreichen.

Denn es kann keine Klimagerechtigkeit ohne soziale Gerechtigkeit geben.

Jon Walker ist Senior Advisor für Kakao bei Fairtrade International