von

FAIRantwortung übernehmen

Verantwortungsbewusste Unternehmen setzen schon seit Jahren auf fair gehandelte Rohstoffe und lassen ihre Produkte FAIRTRADE-zertifizieren. Nun will die Europäische Union die Verantwortung für die Produktionsbedingungen entlang der globalen Lieferketten künftig für alle gerecht aufteilen. Welche Rolle kann FAIRTRADE dabei spielen?

Eine Bananenplantage in Ecuador belastet das Grundwasser mit Pestiziden … Ein Textilunternehmen in Bangladesch beschäftigt Minderjährige … Ein Kakao-Großgrundbesitzer in Côte d’Ivoire interessiert sich nicht für Sicherheitsvorschriften … Bisher hatten Unternehmen in Europa den Vorteil preiswerter Rohstoffe, ohne sich mit den teilweise fragwürdigen Produktionsmethoden auseinandersetzen zu müssen – denn das, was am anderen Ende der Welt geschieht, können sie ja schwer beeinflussen. Oder doch? Zahlreiche verantwortungsbewusste Unternehmen setzen schon seit Jahren auf das FAIRTRADE-Siegel und achten auch darauf, was nach dem Anbau in der Lieferkette passiert, um sicherzugehen, dass bei der Produktion soziale, ökologische und ökonomische Richtlinien (siehe Seite 2 und 3 unten) eingehalten werden.

Rechte Global Schützen

Bisher gilt in der Europäischen Union das Prinzip der Freiwilligkeit: Unternehmen können ihre Produkte von FAIRTRADE und anderen Nachhaltigkeitssiegeln zertifizieren lassen und damit dazu beitragen, dass die Kleinbauernfamilien in den Ursprungsländern auch ein faires Einkommen erwirtschaften. Das Lieferkettengesetz soll nun einen verbindlichen Rechtsrahmen schaffen, um den Schutz der Umwelt sowie der Menschen- und Kinderrechte entlang globaler Lieferketten zu verbessern. Seit 2020 arbeitet die Kommission der Europäischen Union bereits daran. Doch es gibt eine Menge Hürden, bevor das Gesetz effektiv umgesetzt werden kann. Jede Formulierung kann es entweder stärker machen oder Schlupflöcher für Unternehmen entstehen lassen, die sich der Verantwortung entziehen möchten.

Als Politik- und Projektberaterin des Fair Trade Advocacy Office in Brüssel ist es die Aufgabe von Elena Lunder, solche Schlupflöcher aufzuspüren und Gesetzestexte so zu formulieren, dass sie auch Wirkung zeigen können. Der aktuelle Entwurf des Lieferkettengesetzes sieht vor, dass Verträge und technische Prozesse regeln, wie die Verantwortung geteilt wird. Diesen Ansatz sieht Lunder als problematisch an: „Die Idee dahinter ist, die Verantwortung proportional zu verteilen.“ Doch in der Praxis funktioniere dieses Prinzip nicht: „Vor allem Zulieferer, die in der Lieferkette ein paar Stufen vom Endkunden entfernt sind, vielleicht nicht mal in der EU sitzen, haben keine Möglichkeiten, ihre Interessen zu vertreten. Dadurch ist es möglich, dass größere Unternehmen ihre Verantwortung einfach abschieben.“ Um das zu verhindern, arbeitet sie an einer ganzen Reihe von Verbesserungsvorschlägen. Sehr wichtig findet Lunder, alle Stakeholder*innen in das Gesetz einzubeziehen: „Deren Rolle müsste im Due-Diligence-Prozess – also bei der Überprüfung der Risiken eines Unternehmens – fest verankert werden.“

Ein Wettbewerbsvorteil?

Das erklärte Ziel des Lieferkettengesetzes ist es, dass Unternehmen Verantwortung für die Praktiken ihrer Zulieferfirmen übernehmen müssen. Nach diesem Prinzip agieren FAIRTRADE-Partner*innen schon heute sehr engagiert und erwirken damit auch tatsächlich konstante Verbesserungen für die Menschen im Globalen Süden. Aber verschafft das den FAIRTRADE-Partnerinnen und -Partnern auch einen realen Wettbewerbsvorteil? Ja und nein, erklärt Lunder: „Das Prinzip von FAIRTRADE kann dabei helfen, dass Unternehmen sowie Lieferantinnen und Lieferanten langfristige Beziehungen aufbauen und die Stakeholder*innen eine größere Rolle spielen. Bei FAIRTRADE gibt es bereits sehr viele Grundlagen.“

Anders gesagt: FAIRTRADE-Partner*innen haben einen Vorsprung! Im Sinne des Lieferkettengesetzes müssen sie trotzdem nachbessern, weil FAIRTRADE nicht alle Unternehmensbereiche, Menschenrechts- und Umweltaspekte abdeckt. FAIRTRADE achtet beispielsweise darauf, dass die Kakaobäuerinnen und -bauern fairer entlohnt werden. Für das Lieferkettengesetz wären zusätzlich etwa die Bedingungen bei der Weiterverarbeitung, etwa bei der Herstellung von Kakaobutter oder -pulver, ausschlaggebend. Laut Lunder könnte die Rolle von FAIRTRADE in diesem Prozess in etwa so aussehen: „Die Unternehmen fügen in ihre Verträge Klauseln ein, die von ihren Partnerinnen und Partnern einen Verhaltenskodex verlangen, der dem Lieferkettengesetz entspricht. Das könnten sie von einem unabhängigen Prüfsystem bestätigen lassen. Außerdem werden Unternehmen im Rahmen des Lieferkettengesetzes dazu verpflichtet, Risikoanalysen zu erstellen. Auch dabei kann FAIRTRADE sie unterstützen, indem für jene Unternehmensbereiche, die FAIRTRADE abdeckt, Risiken aufgespürt und gezielt reduziert werden. Trotzdem bleiben Unternehmen immer selbst dafür verantwortlich, welche Maßnahmen sie für welches Problem setzen; diese Verantwortung können sie nicht an Externe abgeben. Im Grunde ist es eine neue Art zu arbeiten und auch eine Chance für FAIRTRADE!“

Jetzt schon vorbereiten

Momentan ist die Umsetzung des Lieferkettengesetzes noch Zukunftsmusik: Bis alle Staaten der Europäischen Union das Gesetz voll implementiert haben müssen, schreiben wir 2028. Dennoch: Viele der größeren Unternehmen bereiten sich schon jetzt auf das Lieferkettengesetz vor.

Auch wenn noch ein weiter Weg vor uns liegt: Mit dem Lieferkettengesetz setzt die EU ein Zeichen. Verantwortungsvolle Unternehmen werden bald keine Wettbewerbsnachteile gegenüber jenen haben, die ihre Sorgfaltspflichten vernachlässigen. Bald werden Menschenrechte entlang der globalen Lieferketten rechtlich verbindlich sein. Menschen wie Elena Lunder lassen das Lieferkettengesetz modern und stark werden. Damit Umweltschutzbestimmungen und Menschenrechte auch jenseits unserer Landesgrenzen eingehalten werden.

Als Politik- und Projektberaterin des Fair Trade Advocacy Office in Brüssel setzt sich Elena Lunder dafür ein, dass Menschenrechte und Umweltbelange in der europäischen Gesetzgebung mehr und effektiver berücksichtigt werden. Aktuell arbeitet sie an der Entwicklung von Positionen für die EU mit, die Fairness in globalen Lieferketten sicherstellen sollen.