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Gute Noten für den fairen Handel

Wir sprachen mit Paulo Ferreira Junior vom FAIRTRADE-Produzentennetzwerk CLAC für Lateinamerika über die aktuellen Herausforderungen der Kaffeebauernfamilien und die Zukunft des Kaffeeanbaus.

Wie entwickelt sich derzeit der Kaffeemarkt?
Paulo Ferreira Junior: Der Markt entwickelt sich rasant: Durch Ready-to-Drink- und Cold-Brew-Kaffees wird auch in einer Saison Qualitätskaffee konsumiert, in der früher die Nachfrage gering war. Außerdem weckt der Spezialitätenmarkt bei den Konsumentinnen und Konsumenten mehr Bewusstsein, zum einen durch hochwertige Kaffees und zum anderen durch mehr Information über die Herkunft der Kaffees. In Zukunft wird es mehr um Qualität und Nachhaltigkeit in der globalen Lieferkette gehen. Das ist eine Chance für die Kaffeebäuerinnen und -bauern, wenn sie in der Lage sind, die Qualität ihrer Arbeit zu kommunizieren.

Warum erzielen die meisten Bauernfamilien trotz hoher Nachfrage kein existenzsicherndes Einkommen?
Oft liegt es daran, dass ihre Anbaumethoden veraltet sind. Die Kaffeebäuerinnen und -bauern bewirtschaften kleine Anbauflächen, bauen alte Sorten an und verwenden überholte Produktionstechniken. Dadurch bleibt ihr Ertrag sehr klein. Viele von ihnen haben keinen Zugang zu neuen Technologien oder zu grundlegenden Informationen, wie sie ihre Produktion und die Qualität ihrer Ernte verbessern könnten. Um ein existenzsicherndes Einkommen zu erzielen, müssten die Kaffeebäuerinnen und -bauern die Kosten kontrollieren; sie müssten beispielsweise Bodenanalysen durchführen, um keine Düngemittel zu verschwenden und eine bestmögliche Produktion zu erzielen. Sie sollten ihre Kosten kennen und ein klares Preisziel haben. Viele Kaffeebäuerinnen und -bauern verpassen Zeitfenster mit hohen Kaffeepreisen, weil sie auf noch bessere Kurse spekulieren – und irgendwann müssen sie, wenn ihre Schulden fällig sind, zu einem schlechteren Preis verkaufen. Es ist eines der größten Anliegen des FAIRTRADE-Systems, all das zu ändern. Das nimmt jedoch Zeit in Anspruch, weil die alten Anbaumethoden kulturell bedingt und dadurch schwer zu durchbrechen sind – sogar in FAIRTRADE-Gemeinschaften. Diese Genossenschaften sind den unabhängigen Kaffeebäuerinnen und -bauern weit voraus, doch es ist noch ein weiter Weg.

Auch die Mehrheit der FAIRTRADE-Bäuerinnen und -Bauern erwirtschaftet noch immer keine existenzsichernden Einkommen. Woran liegt das?
Unter anderem an den erwähnten Anbautraditionen. Selbst wenn wir das geändert haben, braucht es Zeit, bis sie existenzsichernde Einkommen erwirtschaften. Außerdem verkaufen viele FAIRTRADE-Kooperationen noch immer nicht ihren gesamten Kaffee unter FAIRTRADE-Bedingungen, weil das Angebot meist größer als die Nachfrage ist. Wir müssen also auch mehr Konsumentinnen und Konsumenten gewinnen!

Neben dem Mindestpreis erhalten die FAIRTRADE-Kooperativen auch die FAIRTRADE-Prämie. Für welche Zwecke wird sie eingesetzt?
Die meisten Kooperativen verwenden die FAIRTRADE-Prämie für die technische Unterstützung ihrer Mitglieder und für Schulungen, etwa zu Produktionstechniken oder Absatzmöglichkeiten. Es wird auch vermittelt, wie man Zugang zu den Märkten bekommt und wie man die Kaffeebohnen auf wettbewerbsfähige Weise dorthin liefert. Außerdem wird nach neuen Sorten geforscht, die resistenter gegen Krankheiten und von besserer Qualität sind sowie eine höhere Produktivität aufweisen. Viele Kooperativen nutzen die Prämie auch, um Bodenanalysen zu bezahlen. Dadurch finden sie heraus, welche Nährstoffe die Bäume brauchen – das ist der beste Schutz vor Krankheiten.

Apropos Krankheiten: Der Kaffeerostbefall von 2013 bis 2015 hat den Kaffeebäuerinnen und -bauern von La Florida stark zugesetzt. Was sind die Ursachen dieser Krankheit?
Alte Bäume sind besonders anfällig für den Kaffeerost. Um ihn zu vermeiden, müssten die Kaffeebäuerinnen und -bauern viel Geld in die Erneuerung der Felder investieren oder noch mehr Geld für Schutzmittel und Arbeitskräfte ausgeben. Sie könnten auch auf neue Sorten umstellen, die widerstandsfähiger und produktiver sind. Aber das wäre eine große Investition, da die neuen Pflanzen erst nach vier Jahren Früchte tragen.

Um in dieser finanziellen Notlage zu helfen, hat die Genossenschaft die FAIRTRADE-Prämie für Barzahlungen an die betroffenen Mitglieder verwendet. Ist dies eine übliche Vorgangsweise?
Wenn Bauernfamilien in eine Krisensituation geraten, können die Kooperativen sie durch Barzahlungen unterstützen. Aber auch Kooperativen können in schwierige Situationen geraten, etwa aufgrund von Produktionsausfällen oder weil Bäuerinnen und Bauern ausfallen. Die Prämie hilft, solche Krisen zu bewältigen, und manchmal auch, Krisen vorzubeugen – beispielsweise durch Investitionen in die Forschung oder die Einführung neuer Anbautechniken.

Auch wenn viele FAIRTRADE-zertifizierte Kakaobäuerinnen und -bauern nicht über ein existenzsicherndes Einkommen verfügen, ist ihre Lage im Vergleich zu konventionellen Anbauerinnen und Anbauern viel besser. Warum ist das so?
Sie haben die FAIRTRADE-Prämie und den FAIRTRADE-Mindestpreis; dank diesen Unterstützungen haben FAIRTRADE-Kleinbäuerinnen und -bauern ein besseres Einkommen als diejenigen, die dem unsicheren Rohstoffmarkt schutzlos ausgesetzt sind. Dennoch: Die Produktionskosten steigen stark an, und die Kleinbauernfamilien müssen dementsprechend mehr verdienen. Um das zu erreichen, müssen sie die Qualität erhöhen oder auf biologischen Anbau umsteigen – dieser Mehrwert wirkt sich positiv auf das Einkommen aus.

Paulo Ferreira Junior ist Coffee Manager bei CLAC, dem FAIRTRADE-Netzwerk in Lateinamerika und der Karibik, und Hersteller von Spezialitätenkaffees.

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Kaffeezeitung

Dieser Artikel ist in der FAIRTRADE Kaffeezeitung 2022 erschienen.