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Hinter den Kulissen: Interview mit Kaffee-Experten Jos Algra

Die Endverbraucherpreise für Kaffee klettern in die Höhe – eigentlich eine gute Nachricht für Kaffeebäuerinnen und -bauern. Oder doch nicht? Wir sprachen mit dem Kaffee- und Handelsexperten Jos Algra darüber, wie die Kaffeebranche funktioniert.

„Zwischen fünf und sieben Prozent des Endverbraucherpreises bekommen die Kaffeebauernfamilien“, sagt Jos Algra. Seit rund vierzig Jahren arbeitet er in der Branche, hat als einer der Ersten Kaffeebohnen aus Mexiko nach Europa exportiert. Seit 1995 entwickelt er Trainings für Kaffeebäuerinnen und -bauern und Kooperativen, in denen er sie bei Geschäftsführung und Export coacht; außerdem analysiert er in Expertenblogs regelmäßig, wie sich der Markt entwickelt.

Das System Kaffee
Warum kommt in den Ursprungsländern so wenig an? Wie funktioniert das System Kaffee? Alles beginnt beim Anbau, bei der Pflege und bei der Ernte der Kirschen. Händler*innen kaufen den Kleinbauernfamilien die Bohnen zum sogenannten Farm Gate Price ab; dann werden die Bohnen weiterverkauft, verarbeitet und zur Verschiffung zu einem Hafen transportiert. „Der Exporteur verkauft normalerweise Free on Board, kurz FOB genannt“, erklärt Algra. „Das bedeutet, er kauft die Ware ab dem Verschiffungshafen und übernimmt den Weitertransport.“

An dieser Stelle kommt der Börsenkurs ins Spiel, der sich sekündlich ändert. „Man muss sich vorstellen, dass allein an der New Yorker Börse für jede Packung Kaffee, die in Europa gekauft wird, 25 oder 26 virtuelle Packungen verkauft werden. Es ist wie ein riesiges Kasino, in dem man sehr viel Geld verdienen oder verlieren kann“, meint Algra. „Eigentlich ist die Börse ein Werkzeug für Produzentinnen und Produzenten, um ihre Risiken zu decken“, erklärt Algra. „Zumindest, wenn sie es richtig machen. Wenn die Kaffeebäuerinnen und -bauern beginnen, selbst zu spekulieren, können sie viel Geld verlieren. Viele verkaufen vorerst nicht, weil sie hoffen, dass der Preis weiter steigt – und normalerweise fällt er dann.“ Zu Kursspitzen kommt es im Durchschnitt nur alle sieben Jahre.

Lange Lieferkette
Noch ein weiterer Faktor beeinflusst den Kaffeepreis, das sogenannte Price Differential: Hochwertige, seltene oder Biokaffees erhalten einen Aufschlag auf den Referenzpreis der Börsen in New York und London, für minderwertige Kaffees gibt es einen Abschlag. Algra rechnet vor: „Vom Farm Gate Price bis zum FOB kommen bis zu 40 Cent pro Pfund an Kosten hinzu. Dann kommen das Price Differential, die Ausgaben für das Verschiffen, die Importkosten, die Kosten des Rösters, Gewinnspannen, Steuern und die Ausgaben der Supermärkte dazu.“

Von dieser Wertschöpfungskette bleiben bei den Kaffeebäuerinnen und -bauern nur wenige Prozente. „Bei FAIRTRADE sind die Bauernfamilien in Kooperationen organisiert, das macht es besser“, betont Algra. „Durch den Mindestpreis und die Prämie kommt definitiv mehr bei den Kleinbäuerinnen und -bauern an.“ In diesem Zusammenhang weist er darauf hin, wie wichtig langfristige Beziehungen auch für die Planungssicherheit sind: „Wenn man seit 5 oder 10 Jahren eine Partnerschaft hat, kann man sich auf einen Fixpreis einigen – und auch Qualität garantieren.“

Natürlicher Anbau
Lohnt es sich denn überhaupt, in Bioqualität oder nach FAIRTRADE-Standards zu produzieren? „Das kommt darauf an“, meint Algra. „Wer beim Anbau einfach die Chemikalien und Kunstdünger weglässt, erzielt zu niedrige Ernteerträge, um davon leben zu können. Doch es geht auch biologisch, mit Bodenanalysen und natürlichen Düngemitteln.“ Tatsächlich sind die Kosten beim Bioanbau höher, insbesondere weil mehr Arbeitskraft nötig ist. Doch dafür macht der Zuschlag für Biokaffee je nach Region von 10 bis zu über 100 Cent pro Pfund aus. Langfristig gesehen zahlt sich Bioanbau aus, weiß Algra: „Der Boden verbessert sich enorm, man bekommt ein immer besseres System.“

Auch von der FAIRTRADE-Zertifizierung profitieren die Mitglieder vielfach: durch bessere Konditionen bei lokalen und ethischen Banken, Unterstützung durch NGOs, Kontakte zu Abnehmern und Know-how, das eine bessere Qualität bei der Ernte und Nachbehandlung ermöglicht. Algra: „Verglichen mit den Kaffees vor 30 oder 40 Jahren hat sich die Qualität enorm verbessert!“

Noch einmal zurück zum Kernproblem: Bei den Kaffeebäuerinnen und -bauern im Globalen Süden kommt nur ein sehr kleiner Prozentsatz des Verkaufspreises an. Was können wir in Europa dagegen tun? „Es wäre gut, wenn man beim Kaffeekauf auch auf die Hersteller achtet“, empfiehlt Algra. „Viele Hersteller setzen auf Transparenz und Rückverfolgbarkeit. Das wirkt sich positiv auf die Erlöse in den Ursprungsländern aus. Diese Kaffees sind zwar teurer, aber es macht einen entscheidenden Unterschied.“

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Kaffeezeitung

Dieser Artikel ist in der FAIRTRADE Kaffeezeitung 2022 erschienen.