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Jahrestag: Corona-Lockdown in Indien

Vor einem Jahr startete in Indien ein harter Lockdown. Sanjeet Singh Khurana vom asiatischen Produzentennetzwerk NAPP berichtet im Interview über ein Jahr Pandemie.

Vor einem Jahr, am 24. März 2020, ordnete die indische Regierung einen harten Lockdown an, um die Pandemie einzudämmen. Indien gehört zu den Ländern mit den höchsten Todeszahlen durch das Coronavirus. Aber auch wirtschaftlich und sozial hat die Pandemie gewütet.

Über ein Jahr Covid-19 und die Auswirkungen auf die Produzentenorganisationen haben wir mit Sanjeet Singh Khurana gesprochen. Er ist Chief Operations Officer COO des asiatischen Fairtrade-Produzentennetzwerks NAPP.

Vor einem Jahr hat die indische Regierung einen harten Lockdown durchgesetzt, um den verheerenden gesundheitlichen Auswirkungen der Pandemie Herr zu werden. Welche Folgen hatte diese Maßnahme wirtschaftlich?
Örtliche Lockdowns haben nach dem Ausbruch der Pandemie zu massiven Unterbrechungen in den Lieferketten geführt. Die massenhafte Rückwanderung von Arbeitern in ihre Herkunftsorte beeinträchtigte die Ernte, weil es an Arbeitskräften mangelte. In einigen Fällen blieb die eingebrachte Ernte aufgrund von logistischen Problemen an den Sammelstellen stecken. Waren blieben in den Häfen hängen, was die Kosten für die Lagerung erhöhte. Auf der Nachfrageseite wurden Aufträge zum Teil storniert oder reguläre Verträge nicht verlängert. Diese Marktunsicherheiten schufen Ängste bei den Produzenten und Händlern, die nicht vorausplanen konnten.

Wie haben die Produzentenorganisationen reagiert?
Als die Beschränkungen nachließen, begannen sich die Abläufe wieder zu normalisieren. Die Kleinbäuerinnen und -bauern hatten aus der bitteren Erfahrung gelernt und haben begonnen, der lokalen Nahrungsmittelsicherheit mehr Bedeutung beizumessen und bauen zum Beispiel mehr Gemüse für den Eigenbedarf und den lokalen Handel an. Auch die Einkäufer haben begonnen, den Anteil der einheimischen Produkte zu erhöhen. Wie die Dinge heute stehen, erholen sich die Märkte langsam und die landwirtschaftlichen Aktivitäten sind fast wieder auf dem Stand von vor der Krise.

Und die sozialen Auswirkungen von Covid?
Gesellschaftlich führte die Pandemie aufgrund mangelnder Kommunikation und teilweise durch "Fake News" zu Rissen auch in eng verbundenen Gemeinschaften. Geringere Einkünfte, häusliche Gewalt und die Bildung der Kinder waren die anderen Herausforderungen, die viele Familien betrafen. Dazu kommt: Mobilfunk- und Internetverbindungen waren in den entlegenen Gebieten, in denen viele Fairtrade-Produzenten ansässig sind, schon immer eine Herausforderung, was sie auch während des Lockdowns weiter beeinträchtigt hat.

Gibt es bestimmte Länder und Produkte, die Corona besonders hart getroffen hat?
Indien war das am stärksten betroffenen Land in Asien mit den höchsten Fallzahlen, gefolgt von Usbekistan in Zentralasien. Sri Lanka blieb von der ersten Welle zwar verschont, jedoch scheint die zweite Welle das Land stärker zu treffen. Indonesien, Thailand, Vietnam und die Philippinen waren ebenfalls zu unterschiedlichen Zeiten in unterschiedlichem Ausmaß betroffen. Produkte wie Kaffee, Tee, Obst und Gemüse und andere verderbliche Nutzpflanzen, deren Anteil am Exportmarkt hoch war, wurden in Mitleidenschaft gezogen. Hochwertige Produkte, die im Export einen viel höheren Wert erzielt hätten, mussten auf dem heimischen Markt zu viel niedrigeren Preisen verkauft werden, wie z. B. Weintrauben oder Gewürze.

Welchen Mehrwert leistet FAIRTRADE in einer solchen Krise?
In der Anfangsphase haben wir vom Produzentennetzwerk NAPP uns aktiv an alle unsere FAIRTRADE-Produzentenorganisationen gewandt. Wir wollten die Unterstützung erweitern, indem wir alle Kommunikationskanäle offenhielten. Unser Team vor Ort stand in ständigem Kontakt mit den Mitgliedern, um ihre Herausforderungen zu verstehen und bei Bedarf Hilfe anzubieten. NAPP hat regelmäßig Mitteilungen veröffentlicht, um die Mitglieder über die laufenden Initiativen zu informieren. Die FAIRTRADE-Prämie wurde in vielen Fällen für die Beschaffung und Verteilung von persönlicher Schutzausrüstung wie Masken, Desinfektionsmittel usw. verwendet. Die Prämie ist in Notfällen wie der Pandemie sehr nützlich. In der Anfangsphase wurde sie auch für die Bereitstellung von Lebensmitteln und anderen lebensnotwendigen Produkten verwendet, die den Gemeinden halfen, die Krise zu überbrücken.
Wir von der NAPP haben dann begonnen, die Mittel aus den etablierten Hilfs-Fonds sowohl für Soforthilfe- als auch für Wiederaufbauprojekte zu kanalisieren. Zu den Wiederaufbauprojekten gehören Schulungsprogramme zum Kampf gegen den Klimawandel, zur Fruchtfolge und zum Mischanbau sowie zur Unterstützung bei der Einführung von Technologien, um die Produktivität zu verbessern, die Kosten zu senken und die langfristige Nachhaltigkeit zu sichern. Um es bildlich auszudrücken: Wir sind mit dem Aufzug heruntergefahren und steigen jetzt über die Treppe zurück.

Welche persönliche Erfahrung der letzten Monate gibt dir Hoffnung, dass wir die Pandemie gut überstehen werden?
Der unmittelbare Schock, den die Pandemie ausgelöst hat, ist vorbei. Die Erfahrung hat uns als Produzentennetzwerk und unsere Mitglieder gelehrt, innovativ zu sein, wenn es darum geht, auf die Anforderungen sich verändernder Märkte zu reagieren - mit möglichst minimalen Unterbrechungen in den Arbeitsabläufen. Persönlich hat diese Erfahrung mein Diktum bekräftigt: Erwarte das Unerwartete und egal wie gut du vorbereitet bist, sei immer bereit, dich anzupassen, zu improvisieren und dich weiterzuentwickeln! Das passiert nur, wenn man lösungsorientiert ist, sich auf die Zukunft konzentriert und einen zielgerichteten Ansatz hat - das ist sehr bestärkend.