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Menschenrechte werden zum Wettbewerbsvorteil

Ein Gastkommentar von Hartwig Kirner, Geschäftsführer von FAIRTRADE Österreich.

Wir haben lange auf ein EU-Lieferkettengesetz gewartet, nun liegt endlich ein konkreter Entwurf auf dem Tisch. Das ist ein guter Tag für die Menschenrechte und ein Meilenstein auf dem Weg zu fairem Wettbewerb. Denn die Botschaft der EU ist klar: Die Zeichen stehen auf Wandel. Die Wertegemeinschaft will nicht mehr wegesehen, wenn es um die Verletzung der Menschenrechte oder den Raubbau an unserer Umwelt geht – ganz egal, wo auf der Welt diese Dinge passieren. Aus gutem Grund: wir als Gesellschaft tragen alle gemeinsam die Kosten für die oft problematischen Handelspraktiken von Unternehmen, die sich dringend ändern sollten.

Das EU-Lieferkettengesetz wird genau das möglich machen. Unternehmen können haftbar gemacht werden, wenn sie ihre Sorgfaltspflichten nicht wahrnehmen und müssen in Zukunft entlang ihrer globalen Wertschöpfungsketten sicherstellen, dass menschen- und umweltrechtliche Regeln eingehalten werden. Höchste Zeit, wenn wir bedenken, dass diese Mechanismen beim Konsumentenschutz oder beim Thema Produktsicherheit schon längst als selbstverständlich gelten.

Viele Unternehmen arbeiten bereits intensiv daran, ihre Produkte umweltfreundlicher und ethischer zu gestalten und unterstützen ein EU-Lieferkettengesetz. Weitere werden nun dazu motiviert, sich eingehender mit den Produktionsbedingungen entlang ihrer Lieferketten zu beschäftigen. Wurden ausbeuterische Praktiken und fehlende Umweltstandards in der Vergangenheit oft genutzt, um sich einen Kostenvorteil zu verschaffen, so ist ein zukünftiges EU-Lieferkettengesetz endlich eine Möglichkeit, dieses Ungleichgewicht zu beenden.

Auf nationalstaatlicher Ebene sollte dieser Gesetzesentwurf darüber hinaus ein Ansporn sein, faire Produktionsbedingungen als künftigen Standortvorteil wahrzunehmen. Denn Kostennachteile durch starke europäische Sozialstandards werden dadurch geringer. Die negative Spirale nach unten, das Wettrennen um die billigsten und menschenunwürdigsten Rahmenbedingungen kann durchbrochen werden. In einem globalen Markt kann der Standort Europa gestärkt werden. Die Vision sollte sein, damit die langjährige Tradition in der Sozialgesetzgebung, den Schutz der Arbeitnehmer:innen und die im globalen Vergleich umfangreichen Umweltstandards in einen Wettbewerbsvorteil zu verwandeln.

Der eingeschlagene Pfad ist also ein guter, aber der Weg zur Ziellinie noch ein weiter. Der vorliegende Entwurf ist ein Ausgangspunkt für intensive weitere Verhandlungen und Verbesserungsschritte: So betrifft der aktuelle Gesetzesentwurf nach ersten Schätzungen nur rund 0,2 Prozent aller Unternehmen in der EU. Hier muss das Ziel ganz klar die Ausweitung auf mehr Unternehmen sein. Auch sollte das Ziel sein, Lösungen für die Etablierung von Sorgfaltspflichten gemeinsam zu entwickeln und umzusetzen. Die Verantwortung dafür – vor allem auch die Kosten – dürfen nicht auf die schwächsten Glieder der Lieferkette abgewälzt werden.

Der Entwurf des EU-Lieferkettengesetzes ist daher ein Stein, der hoffentlich eine Lawine ins Rollen bringt und der auch für die nötige öffentliche Aufmerksamkeit für das Thema sorgt. Europa kann in diesem Bereich eine globale Führungsrolle einnehmen. Angesichts der Klimakrise und der aktuellen geopolitischen Turbulenzen ist das ein wichtiger Schritt in die Zukunft.