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Statement von Fairtrade International zur ORF III Dokumentation „Schokolade aus Österreich – wirklich bio und fair?“

Fairtrade International wurde mit Vorwürfen von Kinderarbeit auf zwei FAIRTRADE-zertifizierten Kakao-Kooperativen in Togo und Ghana konfrontiert. Diese wurden vom österreichischen TV-Sender ORF III erhoben und im Rahmen des ORF III Themenmontags am 4. April 2022 in der Sendung „Schokolade aus Österreich – wirklich bio und fair?“ ausgestrahlt.

Hintergrund
Die unabhängige Zertifizierungsstelle FLOCERT hat aufgrund der Vorwürfe sofort reagiert, und im ersten Schritt beide Kooperativen suspendiert. In beiden Fällen wurden Untersuchungen vor Ort in die Wege geleitet, um den Vorwürfe im Rahmen unangekündigte Audits nachzugehen.

Wie reagiert Fairtrade International auf diese Vorwürfe
Wir nehmen diese Anschuldigungen sehr ernst. Die FAIRTRADE-Standards verbieten ausbeuterische Kinderarbeit, trotzdem können nicht täglich Kontrollen vor Ort durchgeführt werden. Kein Zertifizierungssystem kann daher mit 100-prozentiger Sicherheit gewährleisten, dass in der Lieferkette eines Produktes keine Kinderarbeit eingesetzt wird. Fairtrade International versichert jedoch, dass im Falle von Verstößen gegen das strikte Verbot ausbeuterischer Kinderarbeit sofort Maßnahmen zum Schutz des oder der betroffenen Kinder ergriffen werden.

Aufgrund der Vorwürfe von ORF III geht Fairtrade International aktuell gemäß der „Richtlinie zum Schutz von Kindern und schutzbedürftigen Erwachsenen“ vor. Diese beinhaltet die Durchführung einer sicheren Folgebegutachtung mit geschulten, landesansässigen Mitarbeiter*innen. Wird dabei ausbeuterische Kinderarbeit vermutet oder bestätigt, dann wird dies der nationalen Kinderschutzbehörde (oder der entsprechenden gleichwertigen Behörde) gemeldet und diese auf Verlangen bei der unabhängigen Klärung des Sachverhalts unterstützt. Darüber hinaus hat sich die unabhängige Zertifizierungsstelle FLOCERT, die für die Kontrollen der FAIRTRADE-Standards zuständig ist, sofort an ORF III gewandt und um nähere Informationen gebeten, damit eine noch umfassendere Untersuchung der Vorwürfe durchgeführt werden kann.

Fairtrade International verpflichtet sich immer, unmittelbar zum Schutz des betroffenen Kindes oder der betroffenen Kinder zu handeln. Daher wird jeder Vorwurf, so auch der aktuelle Fall, geprüft, um die beste Vorgehensweise zum Schutz der gefährdeten Personen zu bestimmen. Gemäß der FAIRTRADE-Richtlinie zum Schutz von Kindern und schutzbedürftigen Erwachsenen kann in weiterer Folge auch die Zusammenarbeit mit togoischen und ghanaischen Kinderschutzbehörden und/oder Kinderrechtsorganisationen erfolgen, um den Schutz der betroffenen Kinder sicherzustellen.
Ausbeuterische Kinderarbeit ist im FAIRTRADE-System streng verboten und Fairtrade International arbeitet kontinuierlich mit den Produzentenorganisationen und ihren Gemeinden zusammen, um sie aufzuklären, zu unterstützen und damit Rahmenbedingungen zu schaffen ausbeuterische Kinderarbeit bereits im Ansatz zu verhindern. Fairtrade International verfolgt dabei einen auf rechtlichen Rahmenbedingungen basierenden, integrativen und partizipatorischen Ansatz, um ausbeuterische Kinderarbeit zu bekämpfen, denn Bewusstsein zu schaffen erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass sich die betroffenen Produzentenorganisationen das Problem bewusstmachen und sicherstellen, dass Gemeinden und Regionen dafür sensibilisiert werden.

Fairtrade International setzt an mehreren Fronten an, um Kinderarbeit zu bekämpfen: von der Festlegung strenger Standards über die Verstärkung von Audits (Kontrollen vor Ort, die auch unangekündigt stattfinden können) und die Schulung von Produzentenorganisationen bis hin zur Zusammenarbeit mit Regierungen auf nationaler und Bezirksebene sowie der Entwicklung gezielter Programme mit Partnern, die sich für die Rechte der Kinder einsetzen. Fairtrade International arbeitet mit Produzentenorganisationen zusammen, um ihre Programme und Systeme zur Erkennung, Bekämpfung und Verhinderung von ausbeuterischer Kinderarbeit zu stärken.

Fairtrade International setzt sich vor allem auch dafür ein, die Ursachen von ausbeuterischer Kinderarbeit wie Armut, Ausbeutung und Diskriminierung zu bekämpfen. Der FAIRTRADE-Mindestpreis und die FAIRTRADE-Prämie tragen zu einem höheren Einkommen der Bauernhaushalte bei. Bei Kakao hat Fairtrade International den FAIRTRADE-Mindestpreis und die -Prämie seit Oktober 2019 um 20 % angehoben. Für Côte d'Ivoire und Ghana hat Fairtrade International außerdem höhere freiwillige Referenzpreise für ein existenzsicherndes Einkommen festgelegt, die den Kakaobauernfamilien gezahlt werden müssen, um sie dabei zu unterstützen ein existenzsicherndes Einkommen erzielen zu können. Fairtrade International arbeitet mit einer Reihe von Schokoladenmarken und Einzelhändlern an Projekten, bei denen diese Preise zusammen mit anderen Maßnahmen gezahlt werden, um die Kakaobauernfamilien bei der Erzielung eines existenzsichernden Einkommens zu unterstützen.

Bessere Einkommen, qualitativ hochwertige Schulbildung und Arbeitsalternativen, Aufklärung über Kinderrechte, rechtliche Maßnahmen und Veränderungen in den Gemeinden: das sind allesamt notwendige Faktoren zur Bekämpfung von ausbeuterischer Kinderarbeit. Fairtrade International ist fest davon überzeugt, dass freiwillige Zertifizierungen eine wichtige Rolle für die Transparenz und das Engagement der Unternehmen spielen. Es ist jedoch auch klar, dass freiwillige Standards allein nicht ausreichen, um alle Probleme entlang globaler Lieferketten alleine zu lösen. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass alle betroffenen Menschen, Regierungen, Organisationen und Unternehmen weiterhin gemeinsam konstruktiv auf nachhaltige landwirtschaftliche Anbaumethoden und faire Lieferketten hinarbeiten, die alle Menschenrechte und menschenwürdige Arbeit respektieren. Wenn die Verpflichtungen zur Norm werden und nicht zu einem Wettbewerbsnachteil, wird sich die Situation von Millionen von Kleinbauernfamilien und Arbeitnehmer*innen sowie von Kindern verbessern.

Warum ist ausbeuterische Kinderarbeit im Kakaoanbau immer noch ein Problem?
Die Antwort darauf ist nicht so einfach. Arbeitskräftemangel, niedrige Löhne für Saison- und Wanderarbeiter*innen, schlechte Arbeitsbedingungen, ungenügende Arbeitsaufsicht seitens der Behörden, Mangel an Bildungsmöglichkeiten und mangelnde Schulinfrastruktur sowie die ungleiche Verteilung von Einkommen unter den Familienmitgliedern – zusammen mit Konflikten und Armut in den angrenzenden Ländern trägt all dies zur ausbeuterischen Kinderarbeit in der Kakao-Produktion bei. Hinzu kommen die gesundheitlichen und wirtschaftlichen Auswirkungen der weltweiten Corona-Pandemie, die dadurch noch verstärkt werden, dass Beschäftigte, da die Schulen geschlossen sind, wegen mangelnder Kinderbetreuungsmöglichkeiten ihre Kinder mit auf die Felder nehmen müssen. Nicht zuletzt haben die Klimaveränderungen (wie z.B. Dürre, Flutkatastrophen, erhöhter Schädlings- und Pilzbefall) negative Auswirkungen auf die Ernteerträge der Kakaobauernfamilien, und verschärfen die wirtschaftliche Situation in den betroffenen Regionen weiter.

Was sind die nächsten Schritte?
Fairtrade International versichert, dass im Falle einer Anschuldigung bezüglich ausbeuterischer Kinderarbeit, Zwangsarbeit oder geschlechtsspezifischer Gewalt Maßnahmen zum Schutz der betroffenen Personen im Rahmen unserer Schutzpolitik für Kinder und schutzbedürftige Erwachsene ergriffen werden. Zu diesen Maßnahmen gehören die Übermittlung einer offiziellen Beschwerde an die FAIRTRADE-Zertifizierungsstelle FLOCERT auf der Grundlage verfügbarer Details, die Zusammenarbeit mit dem Social Compliance Team von Fairtrade Afrika zur Beurteilung der betroffenen Produzentenorganisation, die mutmaßlich ausbeuterische Kinderarbeit einsetzt und/oder die Einbindung von Experten oder Agenturen auf lokaler und Bezirksebene, die sich mit den Rechten befassen, um auf Grundlage der Beurteilungsergebnisse zu reagieren.

Fairtrade International hat ORF III daher ersucht, eine formelle Beschwerde bei der Zertifizierungsstelle FLOCERT einzureichen, damit diese den Vorwürfen weiter nachgehen kann. Sollten sich die Vorwürfe bestätigen, muss die Produzentenorganisation Korrekturmaßnahmen ergreifen, um die Ursachen zu beseitigen und den sozialen Schutz von Haushalten und der darin lebenden Kinder zu gewährleisten.