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Internationaler Tag der Arbeit: ein Blick in den Globalen Süden

Da kein Ende der Teuerungskrise in Sicht ist, brauchen die Beschäftigten mehr denn je einen existenzsichernden Lohn. Anlässlich des Internationalen Tages der Arbeit beleuchten wir die Herausforderungen, mit denen die Arbeiter*innen konfrontiert sind, wie FAIRTRADE sie in der Krise unterstützt und welche Lücken andere Akteure im Welthandel schließen müssen.

Auf einer Bananenplantage in der Dominikanischen Republik diskutieren zwei Männer über ihre monatliche Lohntüte. Wie Arbeiter*innen auf der ganzen Welt leiden auch José und Ramón unter der Krise der Lebenshaltungskosten, die durch die Inflation auf ihre Löhne durchschlägt.

Aber es könnte noch viel schlimmer sein. Während die Dominikanische Republik im Jahr 2022 eine Inflationsrate von 9 Prozent verzeichnete, erhielten José und Ramón zusätzliche 700 US-Dollar bzw. 500 US-Dollar, weil sie auf einer FAIRTRADE-zertifizierten Bananenplantage beschäftigt sind. Das zusätzliche Geld – ungefähr der Gegenwert von zwei Monatslöhnen pro Jahr – wurde über die FAIRTRADE-Prämie ausgezahlt, eine zusätzliche Summe, die Produzentenorganisationen in den Ursprungsländern erhalten, die zu FAIRTRADE-Bedingungen verkaufen.

Bananenarbeiter*innen auf FAIRTRADE-Plantagen können sich bis zur Hälfte der Prämie als Bargeld auszahlen lassen, um ihr Einkommen aufzubessern – ein Rettungsanker für Arbeitnehmer*innen, die in einem der am schlechtesten bezahlten Sektoren arbeiten.

Prämie macht echten Unterschied

"Die FAIRTRADE-Prämie verringert den Druck auf das verfügbare Einkommen", erklärt Wilbert Flinterman, Senior Advisor Workers' Rights and Trade Union Relations bei Fairtrade International. "Die FAIRTRADE-Standards sehen vor, dass die Bananenarbeiter*innen mindestens 30 Prozent der Prämie in bar erhalten, die auf Wunsch auf 50 Prozent steigen kann. Das macht einen echten Unterschied, vor allem dort, wo die Arbeiterinnen und Arbeiter deutlich weniger als den existenzsichernden Lohn verdienen."

Laut FAIRTRADE bedeutet ein existenzsichernder Lohn, dass die Beschäftigten genug verdienen, um sich einen angemessenen Lebensstandard für ihren Haushalt leisten zu können – einschließlich einer nahrhaften Ernährung, sauberem Wasser, angemessenem Wohnraum, Bildung, Gesundheitsfürsorge und anderen lebensnotwendigen Dingen – plus ein kleines Extra für Ersparnisse und Notfälle, damit sie für die Zukunft planen können. 

Löhne halten nicht mit Inflation Schritt

Die weltweite Lebenshaltungskostenkrise nach der Pandemie hat alle überrascht – auch uns. Von FAIRTRADE erhobene Daten zeigen, dass die Kosten für den Anbau und Export von Bananen seit 2021 erheblich gestiegen sind: Düngemittel um 70 Prozent, Treibstoff um 39 Prozent und Paletten und Plastikverpackungen um mehr als 20 Prozent. Hinzu kommt die Notwendigkeit, die Löhne zu erhöhen – sie machen etwa die Hälfte der Kosten für eine Kiste Bananen aus – und sowohl die Arbeitnehmer*innen als auch die Produzentenorganisationen stehen vor einer ungewissen Zukunft.

Die steigende Inflation macht es den Arbeitnehmer*innen schwer, von ihren Löhnen zu leben. Die Löhne sollten zumindest mit der Inflation Schritt halten – in vielen Sektoren tun sie dies jedoch nicht. Die Aufrechterhaltung des realen Wertes der Löhne ist ein wesentlicher Bestandteil der Forderung nach einem existenzsichernden Lohn im FAIRTRADE-Arbeitsvertragsstandard, denn ohne diesen können wir keine Fortschritte erzielen. Der Ausgleich der Inflation für die Arbeitnehmer*innen sollte bei allen Überlegungen zu existenzsichernden Löhnen im Vordergrund stehen.

Obwohl die Lebenshaltungskosten in der Dominikanischen Republik erheblich gestiegen sind, stehen FAIRTRADE-Arbeitnehmer*innen in anderen Sektoren und Ländern vor noch größeren Herausforderungen. In Argentinien, wo neun FAIRTRADE-Winzer zusammen etwa 1200 Arbeiter*innen beschäftigen, wird die Inflation laut einer Umfrage der Zentralbank in diesem Jahr 110 Prozent erreichen, und die Armut ist auf fast 40 Prozent angestiegen. "Es ist extrem schwierig, die Beschäftigten in einem solchen Umfeld zu schützen", sagt Flinterman.

Schwierige Situation in Sri Lanka

Ähnlich verhält es sich in Sri Lanka, wo rund 10.000 Arbeiter*innen auf FAIRTRADE-zertifizierten Teeplantagen beschäftigt sind. Die Inflation in dem Land lag von 2021 bis heute bei 73 Prozent und hat die Löhne der Arbeiter*innen stark untergraben. Aber, so warnt Flinterman, man kann nicht alles auf den globalen Wirtschaftsabschwung schieben. "Die Eigentümer der Unternehmen, die die Arbeitnehmer*innen beschäftigen, können sich nicht immer auf das Argument berufen, dass ihr Geschäftsmodell unrentabel wird, wenn sie den Angestellten mehr zahlen, um mit den lokalen Lebenshaltungskosten Schritt zu halten", sagt er. "Die Arbeit des Anker Research Institute zeigt, dass, obwohl der existenzsichernde Lohn in Sri Lanka zwischen Ende 2021 und 2022 um 60 Prozent gestiegen ist, die Kosten für die Zahlung eines existenzsichernden Lohns, gemessen in US-Dollar, aufgrund der Abwertung der lokalen Währung tatsächlich gesunken sind. Manchmal profitieren Unternehmen, die ihre Geschäfte in Dollar abwickeln, in Zeiten der Inflation von sich verändernden Wechselkursen. Auf diese Weise wird es für sie erschwinglicher, ihre Produktionskosten, einschließlich der Löhne, in Landeswährung zu zahlen."

Um die Auswirkungen der Krise auf die Beschäftigten zu überwachen und möglicherweise abzumildern, hat FAIRTRADE kürzlich die Standardanforderungen verschärft, nach denen die Unternehmen nachweisen müssen, dass sie die Löhne an die Inflation angepasst haben. Flinterman erklärt: "Wenn wir zulassen, dass die Kaufkraft der Angestellten sinkt, wird die Kluft zwischen ihren aktuellen Löhnen und den existenzsichernden Löhnen größer. Deshalb sind wir sehr anspruchsvoll und erwarten von den zertifizierten Unternehmen, dass sie dies als ersten Schritt zu existenzsichernden Löhnen angehen."

FAIRTRADE-Prämie steigert das verfügbare Einkommen

Die FAIRTRADE-Prämie wirkt sich nicht nur positiv auf das Leben der Arbeitnehmer*innen aus, sondern kann auch zur Subventionierung von Lebensmitteln und anderen Produkten in Hofläden, für den Bau und Betrieb von Schulen und Gesundheitszentren, für Stipendien und kostenlose Schulsachen, für Transportmittel und zinslose Darlehen verwendet werden – alles Dinge, die sonst von den Löhnen der Arbeitnehmer*innen abgezogen würden.

Ein kürzlich veröffentlichter FAIRTRADE-Bericht zeigt, dass in Ghana die durch die FAIRTRADE-Prämie erzielten Sachleistungen durchschnittlich 75 USD pro Arbeiter*in und Monat ausmachen. Sechsundsechzig Prozent der Beschäftigten gaben an, dass sie die daraus resultierenden Ersparnisse einfach zum Überleben verwenden und sie für grundlegende Dinge wie Lebensmittel und Haushaltsrechnungen ausgeben. Wie ein für den Bericht befragter Arbeiter es ausdrückte: "Alle Preise haben sich verdoppelt ... es gibt bestimmte Dinge, die wir uns einfach nicht mehr leisten können".

Aus derselben Studie geht hervor, dass in Kolumbien – einem weiteren wichtigen Herkunftsland von FAIRTRADE-Bananen – der Prämienanstieg mehr als 88 USD pro Arbeiter*in und Monat ausmacht. Wenn man bedenkt, dass der Richtwert für einen existenzsichernden Lohn in Kolumbien bei 433 USD pro Monat liegt, ist das ein erheblicher Beitrag. Der Angestellte Osnaider Mercado Sandoval Suarez, der auf einer FAIRTRADE-zertifizierten Plantage arbeitet, sagte den Forschern: "Als Bananenarbeiter haben wir nicht die wirtschaftlichen Möglichkeiten, bestimmte Ausgaben zu bezahlen, und so macht es die Prämie für uns einfacher."

Trotz der bedeutenden Rolle, die die FAIRTRADE-Prämie bei der Aufstockung der Löhne spielt, weist Flinterman darauf hin, dass die Notwendigkeit eines existenzsichernden Lohns für die Arbeiter*innen dringender denn je ist. "Die Arbeiter*innen in Farmen, Fabriken und Plantagen gehören zu den am meisten gefährdeten Menschen im globalen Handel", sagt er. "Sie haben oft keine formellen Verträge, keine gewerkschaftliche Vertretung und keinen grundlegenden Gesundheits- und Sicherheitsschutz – und das ist noch nicht einmal das Problem der niedrigen Löhne. Natürlich ist die FAIRTRADE-Prämie ein großes Plus für das verfügbare Einkommen – vor allem im Bananensektor – aber sie darf niemals als Ausrede dafür dienen, keine angemessenen Löhne zu zahlen."

Benchmarks für existenzsichernde Löhne können Tarifverhandlungen unterstützen

Gewerkschaften, die in Tarifverhandlungen mit FAIRTRADE-Plantagen stehen, können von Benchmarks für existenzsichernde Löhne profitieren, die jedes Jahr an die Inflation angepasst werden. Die Benchmarks für den Agrarsektor, die vom Anker Research Institute in Zusammenarbeit mit FAIRTRADE und der Global Living Wage Coalition entwickelt wurden, helfen dabei, die Lücke zwischen den tatsächlichen Löhnen und den für einen existenzsichernden Lohn erforderlichen Löhnen in jedem Land und auch jeder Region zu ermitteln. Arbeitgeber*innen und Gewerkschaften können sie bei Verhandlungen als Referenz verwenden, anstatt die Vorschläge der Gewerkschaften mit den Mindestlöhnen zu vergleichen.

Um einen Verhandlungsprozess in Gang zu setzen, müssen die Gewerkschaften die Arbeitnehmer*innen in einem Unternehmen mobilisieren. Wenn das erforderliche Mindestmaß an Unterstützung erreicht ist, ist das Unternehmen gesetzlich zu Verhandlungen verpflichtet. Die FAIRTRADE-Zertifizierung kann diesen Prozess erleichtern, denn zertifizierte Unternehmen müssen den Gewerkschaften Zugang zum Betrieb gewähren, ein Protokoll über die Vereinigungsfreiheit unterzeichnen und eine Garantie für das Recht auf gewerkschaftliche Organisierung am Arbeitsplatz aushängen.

"Falls erforderlich, werden wir mit den Unternehmen nachfassen, um sicherzustellen, dass sie an ihre Verpflichtungen erinnert werden und sich ihrer Pflichten in Bezug auf die Gewerkschaftsrechte bewusst sind", sagt Flinterman. Dieses Signal kann dazu beitragen, die Hürden für die Gewerkschaften zu senken und mehr Arbeitnehmer*innen zu erreichen.

Vorreiter-Länder nehmen wichtige Rollen ein

Der Wirtschaftseinbruch nach der Pandemie hat die dringende Notwendigkeit der Einführung existenzsichernder Löhne in einer Vielzahl von Sektoren nur noch unterstrichen und es gibt einige gute Nachrichten:

In Ecuador und Kolumbien bewegen sich die Löhne der Bananenarbeiter in der Nähe des existenzsichernden Lohnniveaus. In der kolumbianischen Region Urabá, die die größte Ansammlung von FAIRTRADE-Plantagen im Land beherbergt, sind die Löhne, die durch Tarifverhandlungen erreicht wurden, sogar noch besser.

Auch in Ghana haben die FAIRTRADE-Bananenplantagen eine konstruktive Beziehung zu zwei nationalen Gewerkschaften und verwenden bei ihren Verhandlungen Benchmarks für existenzsichernde Löhne. In Äthiopien wurde der Mindestlohn, den FAIRTRADE für Blumenarbeiter*innen fordert, Ende 2022 angepasst, um eine Anpassung der internationalen Armutsgrenze zu berücksichtigen. Da die Inflation in Äthiopien jedoch bei rund 35 Prozent liegt, wird diese Anpassung schnell an Wirkung verlieren.

Existenzsichernde Löhne gibt es nicht umsonst

Vor fast zehn Jahren haben wir uns für "lohnabhängige Preise" ausgesprochen, die die tatsächlichen Produktionskosten widerspiegeln, ohne den Arbeitnehmer*innen, deren Rechte FAIRTRADE unterstützt, zu schaden – zum Beispiel, indem ihre Beschäftigung unsicherer wird. FAIRTRADE ist nach wie vor das einzige große System für ethischen Handel, das von den Käufern verlangt, einen Mindestpreis für zertifizierte Produkte zu zahlen, der auf einer Bewertung der Produktionskosten und einem Dialog mit den Erzeugern und Händlern beruht.

Obwohl es Fortschritte gibt, ist klar, dass noch viel zu tun ist, bis alle Arbeiter*innen auf FAIRTRADE-Plantagen und in -Fabriken wirklich einen existenzsichernden Lohn erhalten können. "Die weltweite Krise der Lebenshaltungskosten hat sich sowohl auf die Erzeuger*innen als auch auf die Verbraucher*innen negativ ausgewirkt und den Weg zu einem existenzsichernden Lohn umso länger gemacht", sagt Flinterman. "In einigen Ländern und Sektoren haben wir Fortschritte gemacht, aber die hohe Inflation in anderen Ländern bedeutet, dass die Reallöhne wieder rückläufig sind.

"Viele Branchen - darunter die Blumen-, Tee- und Textilindustrie, bleiben nur durch Einkaufspraktiken überlebensfähig, die darauf ausgerichtet sind, Kosten und Löhne niedrig zu halten. Einige Einzelhändler drängen die Hersteller dazu, existenzsichernde Löhne zu zahlen, beklagen sich aber gleichzeitig darüber, dass ihre Kund*innen nicht mehr zahlen können. Es ist richtig, dass wir versuchen, die Arbeitnehmer*innen in den globalen Lieferketten vor ausbeuterischen Löhnen zu schützen und wir werden nicht nachlassen – aber letztendlich muss jemand die Rechnung bezahlen und zeigen, dass er es mit den Geschäfts- und Menschenrechtsprinzipien ernst meint."

Eine Liste unserer Partnerunternehmen in Österreich gibt es hier.